Die unbestechliche jüdische Jahreszählung


Der jüdische Kalender beruht auf einem Zahlensystem mit der Basis 7. Wie die Wochentage, so werden auch die Jahre in Anlehnung an die 7 'Tage' der Schöpfung gezählt. Nach 7 Jahren (Jahrwoche) erfolgte ein Schulderlass, nach 7 x 7 Jahren wurde ein Jobeljahr gefeiert (Lev 25.8). Nach 7 Jobeljahren, also nach 343 Jahren wurde das Ereignis des 'Hepta-Jubiläums' begangen (dem Analogon zur 'Jahrtausendwende' im dekadischen System der Jahreszählung). Neben diesem war jedoch auch die Periode von 6 Jobeljahren von großer Wichtigkeit. Nach ihr wurde die Feinabstimmung des Kalenders und auch der Tempeldienst geregelt, sodass alle 294 Jahre ein 'Hexa-Jubiläum' zu vermerken war (Die Differenz zwischen der Jahreslänge des frühen jüdischen Kalenders von 364 Tagen bzw. 52 Wochen und der wahren Länge des Tropischen Jahres von 365,24 Tagen beträgt über die Hexa-Periode genau 1 Jahr, sodass sich die Folge der Schaltungen danach wiederholt). [1]

Hexa- und Hepta-Jubiläum fielen nach jeweils 6 x 7 Jobeljahren, also nach 2058 Jahren zusammen. Da die Jobeljahre seit 'undenklichen' Zeiten beachtet wurden, war somit davon auszugehen, dass auch zum Zeitpunkt der 'Erschaffung der Welt' Hexa- und Hepta- Jubiläum zusammengefallen waren. Andererseits umfasste die jüdische Überlieferung zur Zeit um Christi Geburt schon etwa zwei Jahrtausende seit Abraham - selbst wenn der Stammvater der Juden nur schemenhaft im Nebel der Geschichte zu erahnen war. Das Jahr der 'Erschaffung der Welt' musste demnach 2058 Jahre vor dem allerersten geschichtlichen 'Super-Jubiläum' angesetzt werden. Diese Zahl war allerdings von rein akademischem Interesse. Torahfragment

Praktische Bedeutung hatte dagegen die zuverlässige Aufzeichnung der Jobeljahre, sowie der übergeordneten Jubiläen: Diese regelten die Feinjustierung des Kalenders, damit die Daten der Festtage und so schließlich den Gleichtakt aller jüdischen Gemeinden. Durch die unabhängige Zählung der Hexa- und Hepta- Jubiläen (zu denen auch noch eine Zählung nach 'Deka-Jubiläen' kam - alle 10 x 49 Jahre, beginnend mit dem Jahr 2058 JWÄ) war jedes Jahr der JWÄ eindeutig zu bestimmen. Unstimmigkeiten mussten einem aufmerksamen Beobachter auffallen.

Hillel:

Rabbi Hillel, dem die Urheberschaft am jüdischen Kalender in seiner heutigen Gestalt zugeschrieben wird, kam anhand der jahrhundertelangen präzisen und umfangreichen Aufzeichnungen (Reste wurden in den Höhlen von Qumram gefunden) zu der Überzeugung, dass ein Großes Jubiläumsjahr unmittelbar bevorstehe - Das 4116. nach der Weltschöpfung - und damit möglicherweise das Ende der Welt. Hillel habe das Kalenderberechnungssystem veröffentlicht, welches bis zu diesem Zeitpunkt ein gut gehütetes Geheimnis war, weil er richtig erkannt hatte, dass dies die Voraussetzung war, um die religiöse Einheit Israels in der Diaspora zu erhalten.

Nach dieser Zeitrechnung leben wir heute im Jahr 5771 jüdischer Weltära, was somit dem Jahr 2011 unserer Zeit entspricht. Daraus folgt, dass das Jahr 3761 v.u.Z. dem Epochenjahr (1 JWÄ) des jüdischen Kalenders entspricht. Wenn Rabbi Hillel um 4116 JWÄ lebte, dann entspricht dies folglich dem Jahr 359 unserer Zeit. So überliefert es auch die Geschichtsschreibung. Die Jahresangaben von Hillel und die darauf bezogenen der jüdischen Überlieferung sind demnach korrekt! 

Folgt daraus aber auch, dass das Jahr 1 AD ("...als Kyrenius Landpfleger in Syrien war") dem Jahr 3761 JWÄ entspricht (als Herodes der Große herrschte)?

Hier sind Zweifel angebracht! Die masoretische Torah, dh. der heute gebräuchliche Text (er wurde von einer jüdischen Gruppe, die sich Masoreten nannte, zwischen dem 7. und dem 10. Jahrhundert u.Z. editiert und verbreitet), datiert die Geburt Abrahams auf das Jahr 1948 JWÄ (gut ein Jahrhundert vor der Landnahme in Kanaan). Allerdings existiert auch eine andere Version, die samaritanische Torah, nach der Abraham im Jahr 2247 JWÄ geboren wurde [2]. Handelt es sich hier um eine irrige Zahlenangabe, oder bezieht sich dieser Text auf ein anderes Epochenjahr? Auffällig ist die Differenz von 299 Jahren. Sofern es sich hierbei um keinen Irrtum handelt und die 'Geburt Abrahams' auf die gleiche Weise rückgerechnet wurde, so bleibt nur die Erklärung einer abweichenden Epoche.

Neujustierung?

Tatsächlich ist eine Änderung der jüdischen Jahreszählung nachgewiesen worden -
schon im Jahre 1575 durch den Humanisten Azaria dei Rossi! [3]

CalendariumEin Augenzeugenbericht aus dem Mittelalter belegt, dass die JWÄ im 11. Jh. u.Z. so wie heute verwendet wurde: „Im Jahr 4856 nach der Erschaffung der Welt, also 1096 nach christlicher Zeitrechnung, suchten uns bitterste Leiden heim, wie sie noch nie in diesem Reich geschehen sind" [4] 

Die gleichbleibend stimmige Epoche der modernen Torah lässt sich mit Hilfe der Astronomie überprüfen: Die Eklipsenberichte des babylonischen Reiches stimmen mit ihr exakt überein (besonders eindrucksvoll: Die detailreiche Beschreibung der totalen Sonnenfinsternis in Babylon am 15. April -135 u.Z.). Durch das babylonische Exil ist die jüdische Geschichte mit der spätbabylonischen verzahnt.  

Auch die Epoche der samaritanischen Torah lässt sich auf diese Weise überprüfen: Tatsächlich stimmen die meisten Sonnenfinsternisberichte der Spätantike, was die Jahreszahlen betrifft, mit ihr überein - wobei allerdings der Versuch einer astronomischen Rückrechnung stets scheitert. Jene liefert jeweils erst 300 Jahre später das passende Ergebnis. Das Gleiche gilt für den Stillstand des Halley'schen Kometen am Abendhimmel im Sternbild Die 3 Könige im Jahre 295 u.Z., welcher der Überlieferung des Neuen Testaments entspricht.

Eine weitere Möglichkeit zur Prüfung bietet die jüdische Jahreszählung selbst - auf Grund ihrer Redundanz: Fielen Hexa- und Hepta- Jubiläum nach 42 Jobeljahren zusammen, so musste das vorvorletzte Jobeljahr 4018 JWÄ (261 u.Z.) ein Deka- Jubiläum gewesen sein (Andernfalls wäre der Beginn der Deka- Zählung willkürlich und damit systemwidrig verschoben gewesen).  

Manipulation?

Dies führt zu der Frage, auf welche Weise Rabbi Hillel und seine JWÄ mit der abendländischen Jahreszählung verknüpft sind: Kaiser Julian (331-363 AD) habe Hillel persönlich geschrieben, er wolle die Lebensbedingungen der Juden verbessern und den Patriarchen seiner Freundschaft versichert. Vor seinem Kriegszug nach Persien habe Julian dann ein Rundschreiben an die jüdischen Gemeinden verfasst, in dem er deren Besteuerung aufhob und den Wiederaufbau des Tempels in Jerusalem aus seiner Privatschatulle in Aussicht stellte... Diese Informationen entstammen den 'Res Gestae' des Ammianus Marcellinus, von dem sich Fragmente über die Jahre 353 bis 378 AD in einer Abschrift des Klosters Fulda aus dem 9. Jh. erhalten haben. [5]

So bleibt festzuhalten: Die Authentizität des Berichtes ist höchst fragwürdig und sein Inhalt ist aus Sicht der Juden zu schön, um wahr zu sein! Ging es hier also nur um 'virales Marketing', um die Verbreitung einer sensationellen Botschaft mit dem Ziel, Hillel und damit die JWÄ mit der christlichen Jahreszählung zu verknüpfen - ohne dass irgendwer zu widersprechen wagte? 

Sollte dieser Plan gelungen sein, so blieben noch Überlieferungen zu dem so überragenden Hillel, die diesen als Zeitgenossen Jesu, möglicherweise sogar als dessen Diskussionsgegner beschrieben. Dieses Dilemma erzwang die Annahme, es habe zwei Hillel gegeben: Hillel II., der Schöpfer des jüdischen Kalenders wirkte von 330-365 u.Z. als Vorsteher des Sanhedrin und jüdischer Patriarch. Er soll ein ferner Nachfahre des Hillel I. gewesen sein, der dieses Amt etwa von 30 v.Chr. bis 9 n.Chr. inne gehabt habe - einen Hepta-Zyklus zuvor (nur so bleibt die jüdische Überlieferung einigermaßen plausibel! Nach den Listen von Qumran wiederholten sich die Familien der Tempelpriester allerdings nach dem Hepta- Zyklus).

Fazit:

Die Stabilität der jüdischen Jahreszählung und ihre Überprüfbarkeit anhand des Systems der Jubiläen haben schließlich dafür gesorgt, dass die falsche Zeitstellung der JWÄ gegenüber der AD-Jahreszählung  bereits im frühen Mittelalter erkannt und korrigiert bzw. ignoriert werden konnte!

___________

Quellen:

[1] Johann Maier: Die Qumram-Essener, 1996 S. 113 ff

[2] G.F. Hasel, Chronogenealogies in the Biblical History of Beginnings.

[3] Azaria dei Rossi: Meor Enajim, Wien 1829; Erstausgabe Mantua 1574-1575

[4] K. Serup-Bilfeldt: Zwischen Dom und Davidstern. Jüdisches Leben in Köln. 2001, S. 27.

[5] Clark, Charles Upson. The Text Tradition of Ammianus Marcellinus. Ph.D. Diss. Yale: 1904.

Abbildungen:

Torah Fragment (public domain)

Ewiger Kalender (Julianisch) von 1690 aus Graubünden/CH (public domain)



-> jahr1000wen.de

HEK 01/2011