Was gab den Anstoß, die Jahreszählung zu manipulieren?





Die Sieben Schläfer von Ephesos:


...Und sie blieben dreihundert Jahre lang in ihrer Höhle, noch neun hinzugefügt. Allah weiß am besten, wie lange sie verweilten.
(Koran 18:25-26)

7 Schläfer

Die Legende von den Sieben Schläfern ist uns vielfach überliefert, sowohl im Christentum als auch im Islam. Zumeist wird berichtet, der römische Kaiser Decius sei nach Ephesus gereist, um die Opferungen für die heidnischen Götter sowie die Christenverfolgung persönlich zu überwachen. Unbeugsame Christen mussten den Märtyrertod sterben.

Sieben Jünglinge aus vornehmen Familien versteckten sich in einer Höhle, wo sie schließlich in einen tiefen Schlaf fielen, aus dem sie erst nach Jahrhunderten erwachten...

Was die Dauer des Schlafs betrifft, divergieren die Berichte:
Etwa 200 Jahre wären es nach einer Version, wonach sie im 38. Regierungsjahr des Kaisers Theodosius II. erwachten, als in der Region Häretiker die Auferstehung der Toten bestritten. Von einer solchen Häresie ist in anderen Quellen jener Zeit allerdings nichts überliefert.

Für den Koranexperten al-Tabari (839–923 uZ.) konnte dagegen kein Zweifel an den in Sure 18 genannten 309 Jahren bestehen. Er kam so zu dem Schluss, schon in vorchristlicher Zeit seien die Jünglinge vor Dezius geflüchtet. Die überlieferte Entstehungszeit des Koran um 640 uZ. stand für ihn außer Frage. Da waren die Schläfer also jedenfalls schon erwacht, nachdem sie zuvor 309 Jahre geschlummert hatten. Tabaris Darstellung ergibt demzufolge nur dann einen Sinn, wenn dieser davon ausging, dass Jesus nicht vor dem 4. Jh. uZ. lebte.

Die Vermutung des Koranübersetzers Slade, bei den 309 Jahren handele es sich um Mondjahre, führt nicht weiter. Die Anzahl von 300 Jahren wäre in diesem Fall frei erfunden. 

Nun ist jedoch in der Chronik von Edessa und auch in arabischen Quellen überliefert, dass nach der Jahreszählung der Griechen die Geburt Jesu in das Jahr 309 (SE) fiel. Damit liegt hier die Vermutung eine schlichten Verwechslung nahe: Auf die Frage nach dem Kalenderjahr hätten die Jünglinge das Jahr der Christen genannt, nach dem im Osten bereits früh gezählt wurde. Da die amtliche Jahreszahl jedoch um 309 höher war, kam der Gedanke auf, sie hätten so lange geschlafen.

Die Idee entwickelte bald eine ungeheure Eigendynamik: Dies war das Größte aller göttlichen Wunder, neben dem selbst die zwei Tage bis zur Auferstehung Christi verblassten! Und sie ließ sich auf vielfache Weise zur Lenkung der Gläubigen instrumentalisieren. Jeder Zweifel daran war todwürdige Ketzerei. So erreichte sie schließlich das Kaiserhaus.

Für die Zeitgenossen musste der Bericht selbstredend glaubwürdig sein, wonach 309 Jahre zuvor unter Dezius die Christen verfolgt wurden. Dezius hatte um das tausendste Jahr nach Gründung Roms gelebt, um das 250. nach Jesu Geburt. Man schrieb also ungefähr 559 AD bzw. 868 SE.

Voraussetzung für die Fiktion vom Jahrhunderte langen Schlaf war allerdings die Gleichsetzung der Epochen AD und SE, wobei weiterhin die Zahlenwerte der alten Chroniken galten. Die Jahreszählung der Griechen war damit zur christlichen Jahreszählung geworden! Kaiser Augustus und seine Nachfolger behielten so ihre auf die Christgeburt bezogenen Jahreszahlen. Und auch die Jahre der griechischen Antike wurden weiterhin nach Alexander dem Großen (bzw. Seleukos) gezählt. Damit entsprach das Jahr 1 des Dionys Exiguus nunmehr dem Jahr 1 der alten griechischen Zählung. Diese hätte somit 312 Jahre früher begonnen. 

Die Überlieferung, man habe die Sieben Schläfer während der Regierung des Theodosius aufgefunden, ist nicht ganz falsch: Tatsächlich herrschte zu jener Zeit (250+309 Jahre nach Jesu Geburt) die Kaiserin Theodosia.

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John Koch: Die Siebenschläferlegende, ihr Ursprung und ihre Verbreitung, eine mythologisch-literaturgeschichtliche Studie. 1883
http://openlibrary.org/books/OL13523858M/Die_Siebenschl%C3%A4ferlegende
Alden A, Mosshammer: The Easter Computus and the Origins of the Christian Era, 2008.  http://ixoyc.net/data/fathers/524.pdf


HEK 01/2015