Die Päpste des Frühmittelalters


Spiegelt sich die zweifache Jahreszählung auch in der dokumentierten Abfolge der Päste wieder? Erscheinen auch diese verdoppelt? Tatsächlich ist über viele der frühmittelalterlichen Kirchenfürsten auf dem Stuhle Petri nur sehr wenig überliefert.

Um 870 unserer Zeit soll die Folge der Päpste im Liber Pontificale, dem 'Buch der Päpste', welches bis heute die wichtigste Quelle darstellt, von dem abgewählten Papst Anastasius (genannt Bibliothecarius), aufgeschrieben worden sein. Natürlich hatte auch dieser Anastasius ältere Quellen ausgewertet. Hatte er sich, ausgehend von unserer Jahreszählung, möglicherweise in der Abfolge geirrt, oder stellt sein Werk einen Beitrag zur Verschleierung von Kalenderreformen in Konstantinopel und Rom dar?

Physische Überreste von den Päpsten jener Zeit sind praktisch nicht mehr vorhanden. Gerade einmal von acht dieser Päpste glaubt man, die Gebeine zuordnen zu können. Von diesen trugen allein vier den Namen 'Leo'. Aber reicht der Name eines Papstes überhaupt aus, um ihn zu identifizieren? Die meisten nahmen spätestens mit der Pastwahl einen neuen Namen an. Oft hatten sie den Namen auch schon vorher gewechselt, sei es, dass die Eltern ihnen einen heidnischen Vornamen gegeben hatten, oder weil sie mit dem Eintritt in den geistlichen Stand ihre Identität wechseln wollten. Schließlich sind von etlichen Päpsten nur Herkunftsbezeichnungen überliefert. So muss es jedenfalls nicht verwundern, wenn dieselbe Person unter verschiedenen Namen in den Überlieferungen erscheint.

Herausragende Ereignisse, die mit einem Papstnamen verknüpft sind, erlauben dessen Einordnung in die Historie. Fanden solche ungewöhnlichen Ereignisse zweifach statt, dann dürften auch die betroffenen Päpste identisch sein. Dies gilt z.B. für die beiden von den gleichnamigen Kaisern Constantius II. abgesetzten und verbannten Päpste Liberius und Martin I.

Eine andere, wenngleich nicht eindeutige Möglichkeit der Zuordnung liefert die Länge des Pontifikats. Hat gar eine ganze Folge von Päpsten jeweils gleich lang geherrscht, so wird eine zufällige Übereinstimmung sehr unwahrscheinlich.

Ein weiteres Element zur Synchronisation mit der Überlieferung Ostroms stellen die sich im Abstand von drei Jahrhunderten folgenden Konzilien dar: Auf das Konzil von Chalzedon folgte 303 Jahre 'später' ein Konzil im dortigen Palast von Hiereia. Dem 1. Konzil von Konstantinopel folgte drei Jahrhunderte später das 3., dem 2. das 4. - wobei von jeweils einem der Beiden die Konzilsakten 'verloren gingen'.


Päpste des FMA


- Über drei Jahrhunderte verdoppelte Pontifikate
Sind die 13 Jahre des Pontifikats Gregors d. Gr. (†604) identisch mit den Pontifikaten des erstmals als Papst bezeichneten Marcellus und des Marcellinus (†309)? Zu Gregors Zeit herrschte der Usurpator Phokas in Ostrom. Die Phokassäule auf dem Forum in Rom, so der archäologische Befund, war allerdings schon drei Jahrhunderte früher entstanden. Historiker haben sich oft über die Briefe Gregors an den Kaiser gewundert: Der Papst hatte Phokas als wahren Christen gelobt, obwohl dieser ein Schreckensregiment führte, nachdem er seinen Vorgänger und dessen Söhne (die Täuflinge des Papstes) angeblich erbarmungslos hatte abschlachten lassen. Schließlich musste auch Phokas fliehen. Etwa einen Tagesmarsch südlich von Byzanz wurde er ergriffen und grausam hingerichtet.
In derselben Gegend hatte 304 Jahre 'zuvor' auch der heilige Phokas den Märtyrertod gefunden. Jener war hoch angesehen gewesen und man hatte zu seinem Gedenken im ganzen Ostreich Kirchen errichtet...

Ein Jahrhundert später steht dem Papst Sisinnius (†708), einem Syrer, das Pontifikat des Siricius (†399) gegenüber.

Diesen folgen die jeweils 16 Jahre der Pontifikate des Gregor II. (†731) und des Innozenz I. (†417). Deren Nachfolger Gregor III. (†741) und Coelestin I. (†432)  herrschten dann jeweils 10 Jahre.

Außergewöhnlich lang war mit 19 Jahren auch das Pontifikat von Nikolaus I. (†867). Fast genauso lang währte das von Papst Vigilius (†555). Ihnen folgten für jeweils 5 Jahre die Päpste Hadrian II. (†872) und Pelagius I. (†561), in deren Zeit das IV. bzw. das II. Konzil von Konstantinopel fiel. Auf diese wiederum folgten die Päpste Johannes VIII. bzw. III., deren Pontifikat mit 10 bzw. 13 Jahren überliefert ist.

Die Papstfolge der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts findet sich schließlich ein weitere Mal im 7. Jh.: Auf Leo VIII. (†964), Benedikt V. und Johannes VIII. folgen zwei Gegenpäpste und darauf Johannes XIV. und Johannes XV. Drei Jahrhunderte 'zuvor' folgten auf  Leo II. (†683), Benedikt II. und Johannes V. darauf ebenfalls zwei Gegenpäpste und schließlich Johannes VI. und Johannes VII.


- Die Papstfolge der Zeit des Chlodwig (Ludwig d. Frommen)
Eine Abfolge von 7 Pontifikaten in der Lebenszeit des Chlodwig und seines Nachfolgers wiederholt sich in der Zeit seines Doppelgängers Ludwig des Frommen: Beginnend mit den 21 langen Jahren des Leo I. bzw. denen des Leo III. folgen weitere fünf gleichlange Pontifikate und mit Dioskur bzw. Anastasius schließlich zwei Gegenpäpste als Verfasser des Liber Pontificalis.
Zwischen den Päpsten dieser Folge finden sich weitere Pontifikate, von denen jedoch zumindest zweie gegensinnig verschoben erscheinen. Eine solche gegenläufige Verschiebung ist zu erwarten: Statt um die ansonsten durchgehend zu beobachtenden drei Jahrhunderte ist die Regierungszeit Ludwigs des Frommen um weitere 35 Jahre verschoben, da sie sonst ja mit der Karls des Großen zusammenfiele.
Da eine verdoppelte Folge von 7 jeweils gleichlangen Pontifikaten außerhalb jeder statistischen Erwartung liegt und diese außerdem mit den beiden gleichnamigen, die Christianisierung Mitteleuropas begründenden Herrschern verknüpft ist, liegt die Vermutung nahe, dass die Pontifikate aus der Zeit des 'frommen Ludwig' auf dessen Herrschaft und nicht auf die Jahreszahlen unserer Zeit bezogen wurden. Jene der Zeit des Chlodwig entsprächen dann der ursprünglichen, auf die alte AD-Jahreszählung bezogenen Datierung. 
Dass es sich hier um ein zufälliges Zusammentreffen handeln könnte, oder um das Ergebnis einer gezielten Fälschung der Überlieferung des Frühmittelalters, kann also ausgeschlossen werden.


- Päpste zu Zeiten des Pippin I. und II.
Papst Zacharias (†752) sei ein Zeitgenosse des oströmischen Feldherrn Narses gewesen. So kann man es im geheimen Geschichtsbuch des Konstantin VII. für seinen Sohn Romanos lesen. In diesem Fall wäre das 11-jährige Pontifikat des Griechen Zacharias wohl mit dem gleich langen des Pelagius II. (=Der Nordgrieche) (†590 AD) identisch.
 
Den Missionar Willibrord (†739) hatte einst Papst Sergius geweiht. Sergius I. verstarb 701 (bezogen auf Pippin II.), der wohl korrekt datierte Sergius II. dagegen 847 u.Z. Willibrord wirkte demnach, wie auch die anderen Missionare der Franken, im 9. Jahrhundert.

Der heilige Columban hatte, wie Thietmar von Merseburg berichtet, beim Tode des großen Karl geweint – also 814? Columban war (auf Pippin I. bezogen) 615 gestorben. Das entspräche dem Jahr 833 unserer Zeit! Um das Jahr 600 (nach derselben Jahreszählung), schrieb Columban einen Brief an Papst Gregor. Welchen Gregor? Das Pontifikat von Gregor IV. dauerte von 827 bis 844 u.Z.

Der heilige Kilian sei 689 in Würzburg verstorben. Seine überlieferte Romreise zu Papst Konon halten die Historiker allerdings für eine spätere Erfindung, da solche Besuche im 7. Jh. eher unüblich gewesen wären. Bei Berücksichtigung der unstimmigen Datierung von Pippin II. fällt Kilians Tod in das Jahr 837 u.Z. Damit wird auch die Romreise plausibel. Das kurze Pontifikat des Konon dürfte demnach kurz davor gelegen haben.


- Die Pornokratie und ihre fiktiven Pontifikate
In der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts hätte das Papsttum einen moralischen Tiefstand erreicht, der als das Zeitalter der Pornokratie in die Geschichtsbücher einging. Stimmt das tatsächlich? Wer hätte ein Interesse haben können, diesen Eindruck zu erwecken? Die Antwort fällt leicht: Es waren die Ottonenkaiser, die den Klerus davon überzeugen wollten, dass es sinnvoll wäre, wenn sie die Päpste auswählten. Für die Ottonen musste es nahe liegen, nachzuweisen, dass die aus den Adelshäusern Roms hervorgegangenen Päpste offenbar dem Anspruch des Amtes nicht gerecht geworden waren. Wie hätte man Geistliche besser hiervon überzeugen können, als mit der Überlieferung sexueller Ausschweifungen der Oberhäupter der Kirche?
Tatsächlich scheinen die Biografien jener Päpste weitgehend erfunden zu sein. Parallelen zu den realen Päpsten vom Anfang des 7. Jahrhunderts (AD) finden sich nicht.

Eine Monstrosität besonderer Art ist uns als Leichensynode überliefert. Papst Stephan VI. hätte die verwesende Leiche seines Vorgängers den Bischöfen in der Lateranbasilika präsentiert und dessen Pontifikat und damit all seine Amtshandlungen für ungültig erklärt.
Welches kranke Hirn mochte sich so etwas ausdenken? Könnte es vielleicht der alte Trick gewesen sein, durch spektakuläre Einzelheiten vom Kern der Sache abzulenken? Eine der Amtshandlungen von Stephans Vorgängern sei die Kaiserkrönung Lamberts von Spoleto gewesen. Diese galt nun als nichtig. Damit ging hier also offenbar ein Jahrhundert des karolingischen Kaisertums zu Ende. Oder war dieses Kaisertum nur eine Erfindung aus späterer Zeit zur Aufwertung des Karolingerreiches? Falls dem so war, dann musste es auch eine Erklärung dafür geben, wie die Tradition der Krönungen schließlich wieder endete. Wer immer die verklärende Überhöhung der Karolinger in die Welt gesetzt hat: Er musste auch eine Begründung für ihr Ende und den bruchlosen Übergang zur Realgeschichte liefern. Der Aufstieg des Sachsenhauses wäre jedenfalls undenkbar gewesen, wenn gleichzeitig ein fränkischer Kaiser geherrscht hätte!


HEK 04/2010