Der fatale Irrtum des Hipparch

Hipparchos von Nicäa († um 120 BC.):

Der bedeutendste Astronom seiner Zeit beschrieb als Erster die scheinbare Bewegung der Sterne auf Grund der Erd-Präzession: Der Stern Spica sei um 2° gewandert, seit sein Vorgänger Timocharis dessen Bedeckung durch den Mond beschrieben hatte. Das war im 36. Jahr der Alexander-Epoche des Kallippos geschehen.
Mittlerweile würde dies etwa 200 Jahre zurück legen...
Tatsächlich entsprechen 2° Präzession lediglich 144 Jahren. Hipparch hätte daher die Epoche um 54 Jahre zu früh datiert:
Bei der Orientierung am Lauf des Mondes bleibt ein Irrtum von 54 Jahren leicht unbemerkt, da sich nach dieser Zeitspanne Sonnen- und Mondfinsternisse am nahezu gleichen Ort und zur gleichen Tageszeit wiederholen - was Hipparch selbst entdeckt und als 'Exeligmos' benannt hatte. Der Irrtum führte zu gleich 3 Alexander-Epochen:

Silvester ii

A. Die Alexander-Epoche nach Hipparch:
Im 32. Jahr des 3. Kallippus-Zyklus, d.h. im 178. Jahr nach Alexanders Tod, hatte Hipparch das Herbst-Äquinoktium beobachtet. Waren die Jahre richtig gezählt, so lag das 'Jahr 1' insgesamt 183 Jahre zurück. (Aristarch hatte die Sommersonnwende im 50. Kallippus-Jahr beobachtet,
dem 44. nach Alexanders Tod → †Alx 6.CP1)

B. Die alternative Alexander-Epoche nach Hipparch:
Das Jahr 50.CP.3 minus 200 Jahre minus 35 (d.h. 1.CP.1 -54 Jahre). Timocharis' Beobachtungen beziehen sich auf die Alexander-Epoche, die von Kallippos zur Sonnenwende bei Neumond vor der Eroberung Babylons festgelegt wurde. Wie Hipparch schloss, wären seitdem ca 200 Jahre vergangen.
Wie der Bericht des Timocharis besagt, verdeckte der Mond Spica zu Beginn der dritten Stunde nach Sonnenuntergang in Alexandria [~17:40ut] am 15. Elaphebolion|5.Tybi im 36. Jahr des Kallippos (d.h. 9. Februar 60ce). Bei einem Monddurchmesser von 0,4°, der sich innerhalb eines Bandes von ±5,1° um die Ekliptik bewegt, beträgt die Chance, Spica innerhalb eines beliebigen Monats zu verdecken, etwa 1:25. Die Beobachtung an Luna XV eines bestimmten Monats und innerhalb einer bestimmten Stunde verringert die Chance weiter um 1:8500 (d.h. 1:29,5 x12 x24). Außerdem: Die visuelle Platzierung des Kontakts am Mondrand kann innerhalb von ±2' (d.h. 1/12 des Monddurchmessers) genau sein: Timocharis' Beobachtung war definitiv einmalig in der Antike!

C. Die Seleukidenära [311bc]:
Da diese Epoche nicht mit Alexanders Biographie vereinbar ist, wurde sie Alexanders Felldherrn Seleukos zugeschrieben: Seleukos Nicator, der Große, hätte demnach Edessa 19 Jahre (d.h. einen Mondzyklus) nach Alexander, nochmals erobert und 'neu gegründet', sodann ebenfalls Gaza und Babylon, bevor er einen weiteren Feldzug nach Indien begann. Schließlich hätte noch eine für ihn irrelevante Zeitrechnung des Alexander IV übernommen?
Nach jüdischer Überlieferung begann die Seleukidenära im sechsten Regierungsjahr Alexanders des Großen [d.h. trad. 330bc]. Alexander war durch den Steuererlass im Sabbatjahr mit der jüdischen Chronologie verknüpft ‒ Kallippus’ Epoche durch den an den Mondlauf gebundenen Jahresbeginn der Juden ebenfalls: Eine Veraltung um 54 Jahre wäre daher widersprüchlich. 19 Jahre später (54j-19j=35j=5x7j) stimmten jedoch die Zyklen von Mondlauf und Sabbatjahr mit der Berechnung Hipparchs überein. Die Präzession der Gestirne hätte 35 Jahre vor Timocharis tatsächlich ½° betragen (was sich möglicherweise anhand von Überlieferungen prüfen ließ). Die nach Hipparch für 54 Jahre errechnete Präzession ergab gleichfalls ½°.